Wolfgang Schmidt geht mit den seriellen Elementen der selbstähnlichen Figuren und den Prinzipien der Konkreten Kunst neue Wege.  Und sprengt bekannte Grenzen:


„Mein Quadrat ist die Figur“

Von Linda Walther, MA


[...] Keiner [...] hat sich der Wiederholung derart verschrieben, wie der Dortmunder Künstler Wolfgang Schmidt. Seit [über] 20 Jahren arbeitet er mit seiner schmalen, langbeinigen Figur. Wenn man so will, ist sein ganzes Werk eine einzige Serie: das Arbeiten mit dem gleichen Motiv immer und immer wieder.

In (fast) allen künstlerischen Medien, in (fast) allen Größen, Farben, Materialien.


Ein weiterer Definitionsversuch beschreibt Wolfgang Schmidts Ansatz treffend: „Serie meint zum einen die genau festgelegte Formel, die dem künstlerischen Schaffen zugrunde gelegt wird, die es bündelt, einschnürt, in Fesseln legt – und zum anderen die Leidenschaft, mit der sich ein Künstler einer Aufgabe in allen ihren Facetten und Nuancen annimmt, die ihn zwingt, etwas wieder und wieder in Angriff zu nehmen und sich der Einzigartigkeit der Aufgabe Mal ums Mal zu ergeben.“(1)  Die langbeinige Gestalt als Formel, mit der der Künstler hantiert, die sein Werk bestimmt und der er sich immer wieder widmet. [...]


Vielschichtig ist das Stichwort, wenn es um den Künstler Wolfgang Schmidt geht. Er passt in keine Schublade, lässt sich keiner Kunstrichtung zuordnen. Man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihm den Stempel „Serielle Kunst“ aufdrückt, denn es geht ihm um mehr. Offensichtlich beschäftigt er sich mit den formalen Aspekten „serieller Kunst“, mit Rhythmen und Reihungen und die dadurch zu erzielende Ästhetik. Doch er tut dies mit der menschlichen Figur, arbeitet zwischen abstrakt und figurativ und erweitert so die „serielle Kunst“ um Überlegungen zu figurativen Möglichkeiten innerhalb dieser nicht figurativen Kunst und kommt so inhaltlich zu Fragen nach Masse und Individuum.

In der logischen Konsequenz sind seine Figuren alle individuell. Sie werden nicht nach Schablonen oder gar industriell hergestellt. Funktionieren kann diese Erweiterung nur, weil seine Figur zwar eindeutig die Formen eines menschlichen Körpers aufweist, sodass der Betrachter sich mit ihr identifizieren kann, diese aber so stark abstrahiert, dass sie noch als formale Elemente gelten können und nie verspielt oder kitschig erscheinen.

Wolfgang Schmidts eigentliche Leistung besteht darin, dass er die Tradition der Serie, die Entwicklungen seit den 1960er-Jahren aufnimmt und sie durch den figurativen Aspekt ergänzt. So erweitert er diese emotionslose, abgeklärte, analytische Kunstrichtung um „das Menschliche“.


„Erst die Beschränkung auf das immer wiederkehrende Motiv eröffnet mir die unbeschränkte Gestaltungsfreiheit.“


Zunächst erscheint dieses Zitat des in Dortmund lebenden Künstlers Wolfgang Schmidt als irritierender Widerspruch, als Paradox. Wie kann ein Künstler sich gezielt beschränken, um dadurch zu einer befreienden Unbeschränktheit zu gelangen?

Konsequenter als Wolfgang Schmidt kann man diesen Zusammenhang zwischen beinahe einfältig anmutender Konzentration auf immer dasselbe Motiv auf der einen und völliger künstlerischer Freiheit auf der anderen Seite nicht vorführen: Seit [über] 20 Jahren arbeitet der Künstler mit seiner stark reduzierten, lang gestreckten menschlichen Figur. [Über] 20 Jahre lang erprobt er mit ihrer Hilfe die Möglichkeiten künstlerischen Schaffens, ohne sein Motiv jemals zu verändern. [...]


Seit dem Studium des Objekt-Designs in Dortmund beschäftigt ihn seine Figur. Zunächst sei sie eine Studie des eigenen Körpers gewesen, erklärt Wolfgang Schmidt. Er habe – mit auf dem Rücken verschränkten Armen – vor einem großen Spiegel gestanden und seine Silhouette festgehalten, gibt der Künstler weiter Auskunft. Übrig geblieben ist der Umriss einer Figur. Eine Figur, die aus einem Kopf, einem schmalen, armlosen Oberkörper und extrem langen, fußlosen Beinen besteht. Obwohl die Figur anatomisch nicht korrekt ist, ihr sogar Körperteile fehlen und ihr weder ein Gesicht noch Haare gegeben sind, wirkt sie versöhnlich, ja geradezu sympathisch. [...]


Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Aussage des Künstlers stimmt. Durch seine motivische Beschränkung auf „seine“ Figur, gewinnt er auf überraschende Weise die größte Unbeschränktheit. Die Reduktion der Mittel bringt klarere Aussagen.


Mit seinen Figuren ist alles möglich: Sie funktionieren als Einzelfiguren in jedem künstlerischen Medium, sie sind transformierbar, lassen sich zerteilen, stückeln, verbiegen. Wolfgang Schmidts Figur überzeugt als Gruppe und transportiert so Überlegungen zu einem profunden Thema unserer Kultur: das Verhältnis zwischen Individuum und Masse. Ein jeder kann sich mit der Gestalt oder mit einer der Gestalten identifizieren. Dennoch ist sie abstrakt genug, damit wir es nicht als Attacke empfinden, wenn ihre Beine zerteilt sind oder ihr Oberkörper durchlöchert ist. Sie befindet sich gestalterisch genau auf dem schmalen Grad zwischen figurativ und abstrakt, wirkt – auch deshalb – niemals kitschig oder verspielt, aber auch nicht abgeklärt, geometrisch, formal und kühl.


Aus diesem Grund ist es nicht möglich, Wolfgang Schmidt in eine Schublade zu stecken. Obwohl das bekannte Zitat von Max Bill aus dem Jahr 1949 über die Konkrete Kunst durchaus für Wolfgang Schmidt zu gelten scheint: „Sie erstrebt das Universelle und pflegt dennoch das Einmalige, sie drängt das Individualistische zurück, zugunsten des Individuums.“ Ein jeder kann – unabhängig von kulturellem, sozialem oder geografischem Hintergrund – seine Kunst „lesen“. Sie ist somit universell verständlich, dennoch einmalig. Die immer gleiche Figur scheint zunächst das Individuelle zu negieren, die genauere Beschäftigung aber zeigt, dass es auf subtile Weise gerade das Individuum ist, um das es dem Künstler geht.


Doch eine glatte Einordnung Wolfgang Schmidts in die Konkrete Kunst ist das nicht. Dagegen sprechen das Verwenden des figurativen Motivs, die nicht untergeordnete, sondern mindestens gleichberechtigte inhaltliche Aussage und der soziologische Aspekt von Individuum und Masse. Das von Wolfgang Schmidt absolvierte Designstudium und die Frage danach, wie es sich in seiner künstlerischen Tätigkeit wiederfindet, sind sicherlich in diesem Zusammenhang auch nicht zu unterschätzen. Ein weiterer Aspekt, der die Eigenständigkeit des Werks unterstreicht.


Auch seine künstlerische Handschrift zeigt, dass Wolfgang Schmidts Werk nicht mal eben auf den ersten Blick zu erfassen ist. Oberflächlich betrachtet, wirken seine Figuren wie seriell – vielleicht sogar maschinell – produzierte Produkte. Auf ihre Unebenheiten – Ecken und Kanten –, die jede der Figuren als Unikat ausweisen, stößt man erst bei genauerem Hinsehen. Sie sind zunächst immer von Hand gezeichnet, sie sind sich selbst ähnlich, aber eben nicht gleich.

Gerade in Zeiten, in denen Künstlerfabriken im großen Stil Konjunktur haben [...], könnte das Thema nicht aktueller sein. Künstler wie Jeff Koons und Takashi Murakami (um nur die prominentesten zu nennen) haben die Wertigkeit von eigenhändiger Ausführung der Kunst mit ihren Imperien und Assistentenscharen ad absurdum geführt. Wolfgang Schmidt lässt seine Figuren erscheinen wie seriell nach Schablonen produziert, obwohl sie alle einzeln gearbeitet sind. So untersucht und kommentiert er zur selben Zeit das Verhältnis von (künstlerischer) Einmaligkeit und (künstlerischer) Massenproduktion, wie sie sich spätestens seit Andy Warhol durch die bildende Kunst zieht.


Dem Künstler Wolfgang Schmidt ist es gelungen – mit all der notwendigen Konsequenz –, etwas enorm Eigenständiges zu kreieren: eine Figur von unwahrscheinlicher Wiedererkennbarkeit, mit der er sich all den formalen und inhaltlichen Problemen, die ihn interessieren oder die an ihn herangetragen werden, stellen kann und die er seit fast 20 Jahren erfolgreich und auf immer wieder überraschende Art und Weise zu lösen weiß.

Und auch hier gilt:  Man muss – wie bei der Betrachtung jeder Kunst – über den ersten oberflächlichen, flüchtigen Blick hinausgehen und sich für einen Moment in die Arbeiten vertiefen, um etwas über sich selbst zu lernen.


Auszug aus einem längeren Text aus:

Wolfgang Schmidt RuhrFigur, Bönen 2012,

ISBN: 978-3862061808





(1)Zitat: Heinrich, Christoph: Serie – Ordnung und Obsession, in: Monets Vermächtnis. Serie Ordnung und Obsession, Ausst. Kat., Hamburger Kunsthalle, Ostfildern-Ruit